Social Media Marketing als Werbung für den Krieg? Web 2.0 Konferenz BARsession

“Beautyful War”- Dieser provokante Titel der Web. 2.0 Konferenz “BARsession” lockte 120 Interessierte nach Dortmund – wie immer ausverkauft. Bedrückend und gleichzeitig bewegend das Thema. Zu Gast war Sascha Stoltenow. Der Kommunikationsberater aus Frankfurt war bis 2001 für 12 Jahre bei der Bundeswehr, hatte viele Auslandseinsätze und betreibt seit 2007 den Bendler-Blog, in dem er seine ganz persönlichen Anmerkungen zu sicherheitspolitischen Kommunikation veröffentlicht. “Wie wirksam ist Terror als Kommunikationsstrategie?” – Das war die zentrale Frage seines Vortrags.

“Nichts für sanfte Gemüter”, prophezeite Sascha Stoltenow zu Beginn seines Vortrags auf der Web 2.0 Konferenz BARsession aber: “Wenn man sich durch solche Bilder verunsichern lässt, dann hat die Gegenseite schon gewonnen.” Stille im Daddys Blatzheim. Angesichts der vielen Kriegsherde in der Welt herrschte beim Publikum eine bedrückende Stimmung. Um die modernen Mechanismen der Kriegspropaganda in allen Facetten aufzudecken, bediente sich Sascha Stoltenow wichtiger #Schlüsselbegriffe und #Instrumente.

#pr vs. contentmarketing

9/11 sei eine klassische PR-Aktion, gewesen eben “old-school der Al-Kaida”, so Sascha Stoltenow. Ebenso wie die amerikanische PR im Kampf gegen die Terroristen.

Doch klassische PR war gestern, heute läuft die Kriegspropaganda über eine ausgeklügelte Content-Marketing Strategie auf allen Kanälen, eben auch Social Media. Medien, wie das Lifestyle- und Jugendmagazin Vice, profitien vom  professionellen Umgang der IS mit den sozialen Netzwerken, die ihnen provokante Titel und extreme Videos zur Verfügung stellt.

Recruiting über Videos und soziale Netzwerke

#employerbranding

Was haben Recruiting – Werbevideos von BMW, der US-Armee und der IS gemeinsam? “Sie benutzen alle das gleiche Vokabular”, sagt Sascha Stoltenow auf der Web 2.0 Konferenz BARsession. Ungläubige Gesichter. Als Beweis zeigt der Experte drei Videos hintereinander. Und siehe da: die Botschaft ist gleich. “Steh auf” heißt es im BMW-Video – “Let`s go” im IS-Video. Alle Videos bieten jungen Männern eine Perspektive. BMW, eine Karriere, IS, die Erlösung.  IS profitiert dabei von einem hohen Wiedererkennungswert, da viele Bilder, Botschaften und Videos sich im Netz wiederholen.

Employer Branding (dt. Arbeitgebermarkenbildung) ist eine unternehmensstrategische Maßnahme, bei der Konzepte aus dem Marketing – insbesondere der Markenbildung – angewandt werden, um ein Unternehmen insgesamt als attraktiven Arbeitgeber darzustellen und von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt positiv abzuheben (zu positionieren).” (Zitat: Wikipedia)

#wargames

Ein Computerspiel, das dem Krieg nachempfunden ist? Genau das zeigte Sascha Stoltenow am Beispiel des virtuellen Spiels, der “Panzergrenadierbrigade 37“, einer virtuellen Brigade der deutschen Bundeswehr, die dem realen Einsatzverband der Streitkräfte nachempfunden ist. Das Menü “Kaserne” ist der Chat, “Kasernenhof” ist das Blog, das “Tor” der Login, unter “Bewirb dich” können sich Interessierte anmelden u.s.w. “Alles wirkt wie ein Computerspiel und das ist bewusst so gestaltet”, weiß Sascha Stoltenow.

#mujatweets

Besonders beliebt sind bei der IS kurze webgerechte Videos, die #mujatweets. “Hier zeigt man das Bild des netten Kriegers von nebenan und sammelt Sympathien”, erläutert Sascha Stoltenow und zeigte auf der Web 2.0 Konferenz BARsession einige eindrucksvolle Beispiele. “Kinder gehen dabei immer”, so Sascha Stoltenow.

„Mujatweets“  nennt man die Video-Format , bei denen Terror-Durchsagen
aus dem Isis-Kampfgebiet 
gesendet werden – perfekt inszeniert und in HD.
Ein Islamist aus Essen verkündete beispielsweise: 

 “Frohe Botschaft: die Rückkehr der Scharia” und erreicht damit über YouTube Tausende.  

 #corporatepublishing

Die IS hat mehrere Publikationen wie den “IS-Report” und das Dabiq, die auch ganz bewusst in englischer Sprache erscheinen und unter dem Dach des Alhayat-Verlags aufgelegt werden, eben professionelles “Crossmedia Publishing”.
#infografics

“Infografiken spielen in der Kriegspropaganda schon immer eine große Rolle” sagt Sascha Stoltenow. Die graphische Darstellung, wie Napoleon nach Russland zieht, gehöre ebenso dazu, wie die Infografik der israelischen Armee, die das Waffenkontingent der Hamas und Israelis gegenüberstellt.

#storywars

“Wir sind in Afghanistan, um Schulen zu bauen”, das war die Botschaft, die die Bundeswehr vermitteln wollte. Die positive Message habe nur so lange funktioniert, bis 2009, beim Luftangriff auf Kundus, Zivilisten getötet wurden, so Sascha Stoltenow auf der Web 2.0 Konferenz BARsession.

#pragain

“Wenn nichts mehr geht, macht man halt die Kulturgüter kaputt”, sagt Sascha Stoltenow. Die westlichen Medien haben diese explosiven PR-Videos der IS gerne aufgegriffen. “Der IS-Staat ist eine ausnahmslos nihilistisch ausgerichtete Ideologie”, ergänzt Sascha Stoltenow. Indem sie die Mythen zerstören, zeigen sie ein Bild eines Menschen, der sich komplett aufgeben hat. Wie die Bilder der Zerstörung doch den Werbebotschaften deutscher Unternehmen ähneln – “Hornbach macht daraus ein Projekt”, so Stoltenow.

Mit Humor und Analyse gegen den Krieg – Web 2.0 Konferenz BARsession

#daeshbags und #daeshhunters

Im Herbst 2014 nahm bei Twitter der Hashtag #daeshbags” an Fahrt auf. Der Hashtag wurde verwendet, um die Bemühungen der IS zu verspotten. “Es ist eines meiner Lieblingshashtags”, verriet Sascha Stoltenow. Viele Cartoons und Bilder mit diesen Hashtags kursieren im Netz.

#counternarratives

Was ist die Wahrheit hinter IS? Ebenfalls eine Bewegung im Netz. Als Beispiel nennt Sascha Stoltenow den Blog Bellingcat.com, der zum Beispiel die Videoinszenierung der Hinrichtung des Journalisten James Foley analysiert hat. Oder die Studie aus 2015 “The ISIS Twitter Census (PDF)”, die die Twitter-Entwicklung der IS beleuchtet.

“Counternarrative nennt man ein Argument, das eine allgemein verbreitete Überzeugung oder Wahrheit bestreitet . Diese Überzeugungen beziehen sich häufig auf Kulturen, Menschen und sogar Institutionen.

“Dem Krieg die Basis entziehen”

#identity

“Die Menschen, das sind ihre Geschichten” – Zitat: Odo Marquard. Die Bilder aus den Kriegsgebieten haben unter den Soldaten eine hohe Bedeutung. Sie zeigen ihre Erlebnisse, ihre ganz persönlichen Geschichten.

“Die Bilder sind damit Teil ihrer Identität geworden”, bringt es Sascha Stoltenow auf den Punkt. Und die Erinnerungen an die Erlebnisse des Krieges, belaste viele Soldaten, selbst wenn sie wieder zu Hause sind. (Hilfen z.B.: Veteran Dogs).

So spektakulär, wie der Vortrag begann, endet er auch: Mit einem Bild eines syrischen Mädchens in einem Flüchtlingslager, das angstvoll die Arme hebt, weil es denkt der Fotograf wolle sie erschießen. Stille. Was können wir tun?

Die Aufgabe der Gesellschaft sei es, nicht mehr wegzuschauen, sondern dafür zu sorgen, dass dem Krieg die Basis entzogen wird”, betont Sascha Stoltenow zum Abschluss des Vortrags auf der Web 2.0 Konferenz BARsession. Zudem könne jeder dort Unterstützung geben, wo es einem in Deutschland begegne, wie in den Flüchtlingszentren.

Fazit

Zielgerichtes Social Media Marketing zum der Aufbau einer Online-Community: Auf diese Weise binden Unternehmen Menschen an ihre Produkte. Mit ihrer Social Media Marketing Strategie ist auch die IS im Netz sehr erfolgreich. Das heißt also: Der Terror als Kommunikationsstrategie funktioniert. Das belegen die Ausführungen von Sascha Stoltenow.

Die IS setzt die Instrumente professionell ein, um interessierte Menschen für ihre Botschaften zu erreichen. Zum Beispiel Twitter: Bis zu 50 Tweets pro Tag sind keine Seltenheit. Und wenn Twitter einen Account schließt, eröffnet die IS direkt einen neuen. Eine spezielle App macht es möglich. Was kann man tun? Einziger Ausweg aus dieser Dilemma sei aus seiner Sicht: “Jungen Männern andere Identifikationsangebote machen.”

Eine beeindruckende Web 2.0 Konferenz BARsession, die einem bewusst macht, dass nicht nur Unternehmen von den Möglichkeiten der digitalen Welt profitieren, sondern auch die Terroristenvereinigungen wie die IS.