Teilnehmeraktivierung in Webinaren – Wie man Gruppen im digitalen Lernprozess unterstützen kann

Seit der Corona-Zeit gehört das OnlineLernen bei vielen zum Alltag. Die fehlende Alternative in der Pandemie hat dazu geführt, dass Webinare und andere Online-Lernformate großen Zulauf bekommen haben. Die meisten Bildungsträger setzen Videokonferenzsysteme ein: das hat den großen Vorteil, dass man den Dozierenden „live“ erlebt, aber keine Anfahrtswege hat. Wer allerdings mehrere Stunden in einem Webinar saß, weiß wie zermürbend es ist, stundenlang jemandem auf einem Bildschirm zu folgen. Wie kann man das ändern? Lernende in Webinaren aktivieren und den OnlineLernprozess spannender gestalten?

Lerntypen und Lernstile

Um zu klären, wie man Lernende in Webinaren und anderen Online-Weiterbildungen aktivieren kann, muss man sich zunächst mit dem Lernprozess beschäftigen. Also die Frage klären, wie das Lernen generell funktioniert. Das ist eine sehr komplexe Fragestellung, die dann auch noch sehr individuell ist, denn der eine lernt besser, wenn er sich Dinge anschaut, ein anderer wiederrum, wenn die Lernthemen gehört werden. Es kommt also darauf an, welcher Lerntyp man ist. Wer herausfinden möchte, welcher Lerntyp er ist, kommt hier zu einem Schnelltest. Es gibt verschiedene Theorien und Untersuchungen, die verschiedene Lerntypen entwickeln. Für das digitale Lernen kann man gut mit den Lerntypen nach Frederik Vester arbeiten. Dieser unterscheidet zwischen vier Lerntypen (vgl. https://move.frankfurter-volksbank.de/lerntypen/):

Der visuelle Lerntyp

Lernen durch Sehen – Dieser Lerntyp kann am besten über Schaubilder, Grafiken, Lernposter, Skizzen, bunte Marker etc. lernen. Hier steht das Sehen und Beobachten im Mittelpunkt. Dinge müssen optisch aufgenommen werden.

Der auditive Lerntyp

Lernen durch Hören -Menschen des auditiven Lerntyps lernen über das, was sie hören. Worte sind für sie das A und O beim Lernen. Sie reagieren empfindlich auf Störgeräusche und können am besten über: Podcasts, Vorträge, lautes Vorlesen oder Sprachaufnahmen lernen.

Der motorische Lerntyp

Lernen durch Umsetzung – Dieser Lerntyp ist ein typischer Praktiker, der durch „Learning by Doing“ am besten begreift. Dinge müssen selbst ausprobiert und umgesetzt werden. Bei diesem Lerntyp funktionieren: Experimente, eigenes Ausprobieren, Rollenspiele etc. gut.

Der kommunikative Lerntyp

Lernen durch Gespräche. Menschen diesen Lerntyps sind die typischen Lerngruppen-Lerner. Sie lernen durch die Auseinandersetzung mit dem Stoff in der Gruppe, über Gespräche, Dialoge gemeinsamen Austausch zu Themen.

Schaut man sich die Schematisierung der Lerntypen an, wird schnell deutlich, dass man meist nicht zu einem Lerntyp gehört, sondern Mischformen am besten funktionieren. Fakt ist: der Mensch lernt umso besser, je mehr Lernkanäle angesprochen werden:

  • Wenn wir Themen nur Hören, behalten wir ca. 20%
  • Sehen wir sie nur, sind es ca. 30%
  • Verbinden wir beide Kanäle, kommen wir auf ca. 50%
  • Verbindet man Sehen, Hören und das eigene Erklären, sind wir schon bei 70%
  • Und erst bei der Verbindung aller Kanäle: Sehen, Hören, Erklären lassen und Umsetzen, kommt man auf ca. 90%.
Lernprozess

Möchte man, das Online-Lernen möglichst lern-effektiv gestalten, sollte man alle Kanäle ansprechen. Vor allem das eigene Erklären und praktische Erleben sind wichtige Aspekte, die jedoch leider nur selten in Online-Schulungen umgesetzt werden. Auf unserer Lernplattform arbeiten wir daher mit allen Medien: Grafiken, Texten, Audio-Sequenzen und Videos. Um das „Erklären“ umzusetzen, verfassen die Lernenden eigene Definitionen und Erklärungen von Begriffen oder beschreiben Prozesse in eigenen Worten. Die  Umsetzung ist immer auf zwei Ebenen umgesetzt: im Rahmen von Praxisaufgaben „löst“ man Probleme aus dem Handlungsfeld und in der Projektarbeit wird das Wissen auf das eigene Beispiel übertragen. Bei Webinaren und Online-Schulungen die nicht als Selbstlernkurse angelegt sind, spielen jedoch auch Gruppenprozesse immer eine Rolle beim Lernen.

Was Gruppenphasen mit dem Lernen zu tun haben

Findet das Lernen als Veranstaltung für eine Gruppe statt, spielen die Phasen, die eine Gruppe durchläuft für das Lernen -neben den Lerntypen- eine wichtige Rolle. Viele kennen die Gruppenphasen aus der Projektarbeit. Kurz zusammengefasst: eine Gruppe durchläuft immer Prozesse, bevor sie „arbeitsfähig“ wird. Beachtet man diese Prozesse und bindet sie ein, erreicht man die Arbeitsfähigkeit. Beachtet man sie nicht, kommen Aspekte der Phasen immer wieder auf und die Arbeitsfähigkeit kann zum Problem werden. Wie laufen diese Phasen ab? Auch hier existieren verschiedene Modelle. Je nach Modell unterscheidet man vier oder fünf Gruppenphasen. Für den Bildungskontext orientieren wir uns an dem fünf Phasen Modell (wie hier beschrieben).

Phase 1: Forming

Auch als Einstiegs- und Findungsphase beschrieben. Ganz typisch ist diese Phase zu Beginn einer Weiterbildung. Die Lernenden kennen sich und die Dozierenden nicht, sind unsicher, was auf sie zukommen wird, ob die Entscheidung für die Weiterbildung richtig war etc. In dieser Phase ist es wichtig, die Gruppe miteinander vertraut zu machen: ein Kennenlernen zu ermöglichen und damit jeden mit ins Boot zu holen. Auch das Vertrauen in die Dozenten und die gesamte Weiterbildung werden hier geschaffen.

Phase 2: Storming

In dieser Phase der Auseinandersetzung geht es darum, zu hinterfragen. Zum Beispiel, ob der Dozent auch in der Lage ist, gesetzte Regeln einzuhalten (werden Pausen auch wirklich gemacht, wenn sie angekündigt sind?). Werden Gesprächsregeln eingehalte etc.? In dieser Phase formieren sich Rollen in der Gruppe und es werden Bedingungen auf den Prüfstein gestellt. Das kann sehr harmlos aussehen, indem Lernende nachfragen, ob denn dieses oder jenes wirklich so gemeint ist. Oder ob andere Wege auch möglich sind. Oder etwas ausgefallener: indem ein Konflikt entsteht.

Phase 3: Norming

In dieser Phase entwickelt die Gruppe ein Gemeinschaftsgefühl, etabliert gemeinsame Werte (zum Beispiel wie diskutiert wird, wie mit Störungen umgegangen wird) und entwickelt so die Basis für eine Zusammenarbeit.

Phase 4: Performing

Erst hier sind wir in der eigentlichen Arbeitsphase. Die Gruppe ist in der Lage eigenständig zu arbeiten und Lösungen zu entwickeln. Regeln werden nicht hinterfragt, jeder in der Gruppe hat seine Rolle und das Arbeiten funktioniert reibungslos.

Phase 5: Termination

Diese Phase wird von den meisten „vergessen“, aber sie ist wichtig, um Ergebnisse festzuhalten und eine Übertragung der Ergebnisse in die Praxis zu ermöglichen. Im Weiterbildungsbereich arbeiten wir meist mit einem „Ergebnisspeicher“. Also der Darstellung der erarbeiteten Ergebnisse/ Lösungen der Sitzung und einem Ausblick der Übersetzung in die Praxis. So bleiben Ergebnisse besser im Gedächtnis.

Das wichtige für (Online)-Weiterbildungen ist: diese Phasen werden immer durchlaufen und sollten beachtet werden. Das heißt: Teilnehmende benötigen zu Beginn immer eine Zeit des Ankommens, um sich auf das Thema einzulassen. Die brauchen einen Orientierungsrahmen, der ihnen Sicherheit gibt. Eine Arbeitsphase muss eingeleitet werden durch Regeln, durch die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Viele Dozenten wundern sich, dass sich ihre Gruppen bei Fragen so schlecht beteiligt. Häufig ist das kein Wunder, denn die meisten überfallen die Teilnehmenden. Sie steigen sofort in die Erarbeitung ein und stellen dann eine Frage – und wundern sich, dass die Gruppe schweigt. Der Gruppe fehlt es an der Initialisierung einer Gesprächskultur. Wie soll das funktionieren, wenn vorher nur der Dozent referiert hat. Die Lerngruppe hat die Regel abgeleitet: mein Beitrag ist nicht gefragt, ich soll wohl nur zuhören. Eine Aktivierung von Lernenden sollte also von Beginn an initiiert werden. Wie kann sowas im Webinar aussehen?

Teilnehmeraktivierung in Webinaren

Webinare orientieren sich grundsätzlich an dem Prinzip des Frontal-Unterrichts. Jemand trägt ein Thema vor, die Lerngruppe hat eine überwiegend konsumierende Rolle. Möchte man von diesem Konzept abweichen und baut auf die Aktivität der Gruppe ein, bedeutet das, die Aktivitäten vorzubereiten. Sich zu überlegen, wie diese aussehen könnten und wie man sie online umsetzen möchte. Jede Lernveranstaltung mit Gruppen sollte grundsätzlich dem Phasenmodell folgen. Zunächst bedeutet das, dass man Zeit für ein Kennenlernen einbindet, grundlegende Regeln darstellt und den Ablauf des Webinars bespricht. In dieser Phase kann man „Aktivitäten“ bereits einüben. Zum Beispiel, Emojiis im Webinar zu nutzen. Diese können eingebunden werden, um ein grobes Feedback einzuholen. Zum Beispiel zur Bild- und Tonqualität. So haben alle diese Form des schnellen Feedbacks kennengelernt. In der Vorstellungsrunde sich können alle mit Video und Ton kurz vorstellen. Vorkenntnisse sind gut über kleine Umfrage-Funktionen abzufragen. Und schon hat man die erste Phase eines Webinars genutzt, um die Gruppe mit einzubinden und aktivieren. Ist das gelungen, wird es in der Arbeitsphase leichter, Aktivitäten einzufordern. Hier kann man zum Beispiel ein Whiteboard nutzen, auf dem alle etwas aufschreiben (um Ideen oder Erfahrungen zu sammeln) oder Klein-Gruppen-Räume einrichten, um Gruppenaufgaben umzusetzen.

Und nicht vergessen: zum Abschluss ist es immer wichtig, nochmals zu sammeln, welche „Ergebnisse“ im Webinar erarbeitet wurden. Auch hier macht eine Visualisierung absolut Sinn.: „Schreiben Sie bitte auf, was Sie vom heutigen Webinar alles mitnehmen.“, „Was haben Sie gelernt, womit haben Sie sich heute beschäftigt?“. Wichtig bei dieser Art des Ergebnisspeichers ist es, Fragen zu stellen, zu denen alle Lernenden etwas beitragen können. So wird allen nochmal bewusst, welche Vielzahl an Themen bzw. Ergebnissen im Laufe des Webinars erarbeitet wurden. Geben Sie den Lernenden die Chance, Arbeitsaktivitäten einzuüben mit kleinen Abfragen und Vorstellungsrunden zu Beginn, dann wird es in der Arbeitsphase leichter, diese umzusetzen. Im Grunde ist dies nichts neues: neu ist häufig der Mut, das Ganze in Online-Formaten auszuprobieren.

Teilnehmeraktivierung

Fazit

Teilnehmeraktivierung ist ein wichtiger Bestandteil von Lern- und Gruppenprozessen und wenn diese aktiv gestaltet werden, findet auch Lernen statt. Einfach nur eine Power Point Präsentation vor einem Bildschirm vorzulesen, hat nichts mit Lernen zu tun. Das ist lediglich eine Form von Konsum. Lernen lebt davon, dass Inhalte neu strukturiert und eingebettet werden. Und das muss initiiert werden. Es ist ein komplexer Prozess, der schon in der Präsenz nicht einfach ist. In online-Formaten kommen dann noch Unsicherheiten der technischen Umsetzung hinzu. Aber genau das unterscheidet dann auch gute Webinare und gutes online-Lernen, von reinen Vorlese-Webinaren. Wir wünschen Ihnen Mut, das auszuprobieren. Lassen Sie uns gern wissen, welche Erfahrungen Sie machen!

Brauchen Sie Unterstützung bei der Schulung Ihrer Dozenten-Kompetenz? Fragen Sie uns gern an. Wir bieten zu dem Thema auch Vorträge und In-House-Schulungen an!